Der fol­gende Artikel erschien Ende Juni 2012 im Mit­teilungs­blatt des Säch­sis­chen Berg­steiger­bun­des. Der Orig­i­nalar­tikel kann als pdf herun­terge­laden wer­den: Mit­teilungs­blatt 062012 

Wo sich Fuchs und Biber gute Nacht sagen – Expe­di­tion ans Ende der Welt!

Beim Lan­dean­flug auf Punta Are­nas (Chile) hatte keiner von uns konkrete Vorstel­lun­gen von dem, was uns in den näch­sten Wochen erwarten würde. Jeder ver­spürte das bekan­nte Kribbeln im Bauch, die leichte Anspan­nung, die sich ein­stellt, sobald etwas Neues, Unbekan­ntes bevorsteht, dessen Aus­gang aber unklar ist. Wohl auch ver­ständlich, schließlich ist eine Expe­di­tion in die Cordillera Dar­win nicht mit einer Hüt­ten­tour in den Alpen zu vergleichen.

Gut eine Woche hat­ten wir für die Vor­bere­itun­gen in Punta Are­nas benötigt, um alle For­mal­itäten und Einkäufe zu erledi­gen. Gle­ichzeitig kon­nten wir das südamerikanis­che Leben in Form von Pisco und Rotwein auf­saugen und uns an die etwas langsamer tick­enden Uhren gewöh­nen. Im Anschluss brachen wir Rich­tung Süden auf und erre­ichten nach einer staubi­gen 12-​stündigen Aut­o­fahrt schließlich am 15. Jan­uar die West­küste Feuer­lands, den Aus­gangspunkt für unser Abenteuer.

Am Hor­i­zont türmten sich die Berge der Cordillera auf, die immer wieder unsere Blicke in ihren Bann zogen. Nach einem entspan­nten und äußerst leck­eren Asado ver­pen­nte es unser Skip­per am näch­sten Mor­gen – auch das gehört zum chilenis­chen Lebens­ge­fühl. Schlussendlich fuhren wir den­noch gen Süden und erre­ichten die Bahía Fit­ton nach 2,5 Stun­den schaukel­nder Überfahrt. Mit einem riesi­gen Haufen Aus­rüs­tung (450 kg) wur­den wir am Strand abge­laden und schauten den zurück­fahren­den Booten mit einem flauen Gefühl hin­ter­her. Die näch­sten 25 Tage wür­den wir auf uns allein gestellt sein, und jegliche Ret­tung im Fall der Fälle würde einen extremen Aufwand bedeuten. Aber genau diese Abgeschieden­heit war es, die wir suchten, fern von All­tag, Rou­tine und Bekan­ntem – ein­fach nur wir inmit­ten ursprünglicher Natur und atem­ber­auben­der Berge.

Apro­pos, Berge – das Ziel unserer Begierde, der Monte Buck­land, bisher erst ein­mal in den 60ern von einem ital­ienis­chen Team über die West­seite bestiegen, kon­nten wir bere­its auf der Überfahrt steil und abweisend durch die Wolken auf­blitzen sehen. Mehr als anderthalb Jahre hat­ten wir für die Vor­bere­itung der Tour benötigt, nun tren­nten uns von seinem Fuße nur noch knappe fünf Kilo­me­ter. Also schul­terten wir jeder die ersten 25 kg Gepäck und schlu­gen uns durch einen schmalen Streifen Küsten­re­gen­wald. Im Anschluss daran fol­gte eine Art offene Wiesen­fläche, die bei jedem Schritt gluck­erte und unsere Schuhe teils knöchel-​, teils waden­hoch mit Wasser und Schlamm umspülte. Nicht zuletzt hat­ten Biber die Land­schaft geprägt, sodass wir ganze Waldge­bi­ete auf zer­nagten Baum­stäm­men bal­ancierend oder von einem zum anderen sprin­gend durch­querten – mit dem schw­eren Gepäck ein beson­derer Spaß.

Am Ende des Tages waren wir völ­lig aus­ge­brannt, aber den­noch froh, nach Stun­den endlich einen halb­wegs vernün­fti­gen Zelt­platz gefun­den zu haben. Die Bilanz des ersten Tages ver­wies auf eine zurück­gelegte Wegstrecke von zwei Kilo­me­tern und einen Höhengewinn von etwa 40 m, das Ganze mit einem Drit­tel des Gesamtgepäcks!

Noch ernüchtern­der war der Weit­er­weg. Links und rechts des Lagers zogen steile Fel­swände unüber­wind­bar in die Höhe und ein reißen­der Wasser­fall schien den Tal­ab­schluss zu bilden. Um nicht kurz nach der Ankunft bere­its aufgeben zu müssen, bedurfte es einiger Kreativ­ität, die einem durch­schnit­tlichen Wan­derer in Europa wohl äußerst sel­ten abver­langt wer­den dürfte. Bewaffnet mit Klet­terzeug und Macheten überwan­den wir nahe dem Wasser­fall eine 30 m hohe, glitschig bewach­sene Steil­stufe und schlu­gen uns durch das überwöl­bende Dic­kicht und den daran anschließen­den Regen­wald. Mehrere Fehlschläge und der beständig leichte Regen waren wenig moti­va­tions­fördernd, und den­noch erre­ichte der Spähtrupp ein lauschiges Plätzchen an einem See mit Berg­panorama. Nach ins­ge­samt fünf Tagen hat­ten wir schließlich das gesamte Gepäck ins dor­tige Basis­lager geschleppt.

In den fol­gen­den Tagen erkun­de­ten wir die Umge­bung und bestiegen einen kleinen Berg, den wir „Monte Bella Vista“ (deutsch Aus­sichts­berg) tauften. Die erste Erkun­dung am Buck­land endete etwa 500 m unter dem Gipfel. Unan­genehmes Wet­ter und schlechte Sicht ver­hin­derten einen ambi­tion­ierten Ver­such. Auch beim zweiten Anlauf blieb ein Teil der Crew im Lager zurück, teils auf­grund der fehlen­den Erfahrung, teils um uns Rück­endeck­ung zu geben. Zügig stiegen wir in den Sat­tel am Grat auf, wo auch schon beim ersten Ver­such unser Hochlager ges­tanden hatte. Wir starteten am Fol­ge­tag nach anfänglichem Schnee­griesel gegen sieben Uhr mit blauem Him­mel Rich­tung Gipfel.

Auf dem oberen Gletscher­plateau überraschte uns ein Grau­pelschauer, und der Blick zum Gipfel wurde immer öfter von Wolken­feldern versperrt. Vor uns lag die 200 m hohe Gipfelflanke, über deren gesamte Bre­ite sich ein Bergschrund zog. Das Umge­hen hätte viel Zeit in Anspruch genom­men, sodass wir uns für die Diret­tis­sima entsch­ieden. Je näher wir der Ver­w­er­fungszone kamen, umso abweisender und schwieriger erschien sie. Da ich der Hauptver­fechter der Direk­t­vari­ante war, musste nicht lang um den Vorstieg gekno­belt wer­den. Die unteren Meter wühlte ich mich durch tiefen Schnee, und schon bald querte ich in schlechtem Eis zur Schlüs­sel­stelle hinüber. Der Eisüber­hang hatte es in sich! Weiches, schwer abzu­sich­ern­des Eis, und am Ausstieg fan­den die Eis­geräte keinen Halt auf der oberen Firn­flanke. Irgend­wie mogelte ich mich den­noch darüber, und in weit­eren drei Seil­län­gen erre­ichten wir kurz nach 19 Uhr den Gipfel, mehr als 45 Jahre nach der Erstbesteigung!

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Gern hät­ten wir unseren Sieg über den Buck­land aus­giebig gefeiert, den unbeschreib­lichen Blick über die Fjord­land­schaft der Cordillera Dar­win in vollen Zügen genossen und den atem­ber­auben­den Son­nenun­ter­gang am Ende der Welt in uns aufge­so­gen, doch irgend­wie hin­derten uns die dichte Wolken­suppe mit etwa 15 m Sicht und der beißende Wind, der unsere Seile in weni­gen Minuten stock­steif gefroren hatte, daran. Wir beschränk­ten uns also auf die Gipfelumar­mung und den im Basis­lager erle­ichtert aufgenomme­nen Funkspruch.

Der Abstieg gestal­tete sich wesentlich zügiger als erwartet, denn trotz der schlechten Fir­nund Eisqual­ität in der Gipfelflanke kon­nten wir an drei pass­ablen Abal­akovs (Eis­san­duhren) bis unter den Bergschrund abseilen. Unsere Auf­stiegsspuren waren inzwis­chen teils verblasen, teils zugeschneit, und die nahende Dunkel­heit erschw­erte die Wegfind­ung zusät­zlich. Gut 19 Stun­den nach unserem Auf­bruch erre­ichten wir schließlich gegen 2 Uhr nachts die Zelte und ließen uns schlapp, aber zufrieden in die Schlaf­säcke sinken.

Nach dem Abstieg ins Basis­lager störte uns der andauernde Regen, der auch ab und zu als Schnee niederg­ing, fürs Erste nicht wirk­lich. Etwas Zeit zur Regen­er­a­tion kam uns ger­ade recht. Nach dem tollen Erfolg am Buck­land waren wir guter Dinge, weit­ere Berge mit dem gesamten Team bezwin­gen zu kön­nen. Nach­dem es allerd­ings auch im Basis­lager mehrere Tage von früh bis spät durchgereg­net hatte, warteten wir sehn­süchtig auf Wet­terbesserung. Stattdessen fiel der Luft­druck stetig weiter, und ein Tief­st­stand jagte den näch­sten. Unmut machte sich breit, Langeweile kam jedoch nicht auf. Der anhal­tende Nieder­schlag hatte unsere Zelte unter­spült und ver­langte unsere Fähigkeiten als Kanal­bauer. Als schließlich auch noch die Latrine überlief und die braune Soße sich anschickte, Rich­tung See und Grup­pen­zelt abzu­fließen, kam die Gruppe in Schwung. Ver­ständlich, dass das Motto der let­zten Tage beschrieben wurde mit: „So wenig Spaß für so viel Geld!“. Der einzig vergnügliche Licht­blick war der Besuch eines wun­der­schö­nen Feuer­land­fuch­ses, der fast ohne Scheu und mit viel Neugierde unser Basis­lager durchstöberte.

Ähnlich dem Fuchs ließen auch wir uns vom Wet­ter nicht unterkriegen und starteten an einem Mor­gen mit guten Aus­sichten gen Osten. Unser Ziel war ein wilder, noch unbe­nan­nter Sporn in der Haup­tkette nordöstlich vom Monte Buck­land. Am Him­mel tobten die Wolken nach feuer­ländis­cher Manier bizarr durcheinan­der. Die Gruppe war gut drauf und freute sich auf einen gemein­samen Gipfelsieg mit toller Sicht. Beim Überschre­iten der Haup­tkette nach Nor­den hüll­ten sich die umliegen­den Berge jedoch langsam in Wolken, und wenig später tauchten auch wir ein in das dif­fuse Grau. Die umliegen­den Fjorde ver­schwammen im Nebel, und die vor uns liegen­den Gletsch­erspal­ten ver­loren im milchi­gen Schleier an Bedro­hung. Vom Gipfel war noch lange keine Spur, und leichter Niesel ließ die Moti­va­tion sinken. Die Gruppe tren­nte sich in einen uner­schrock­e­nen, vom Erkun­dungs­geist getriebe­nen Teil und einen etwas weniger risikobere­iten, der den Rück­weg antrat. Ersterer fol­gte seiner Intu­ition und bah­nte sich einen Weg über mehrere Steil­stufen in den Sat­tel am Gipfel­grat und erre­ichte den höch­sten Punkt nach einer bröck­li­gen Fel­slänge. Oben angekom­men, bot sich das gle­iche milchige Panorama wie eh und je. Wie tre­f­fend erscheint da der von uns gewählte Name für den Berg: „Monte Niebla“ (deutsch Nebelberg).

Zurück im Lager, verblieb uns noch einige Zeit bis zur Rück­kehr in die Zivil­i­sa­tion, die wir mit erfol­glosen, durch das Wet­ter vere­it­el­ten Berg­touren ver­brachten. Die let­zten Tage hieß es dann erneut, das ein­gangs hochge­buck­elte Gepäck wieder run­terzuwuchten. Zum Glück hat­ten wir inzwis­chen gut 100 kg Trock­en­fut­ter ver­tilgt, und auch den Sprit für die Kocher als auch einige Pfunde Fettpol­ster hat­ten wir ver­brannt. Den­noch brauchten wir zwei Tage, bis das ganze Mate­r­ial am Strand lagerte. Beson­ders die Querung eines Gletscher­flusses hatte nochmal für etwas Aufre­gung gesorgt. War das ursprünglich kniehohe Flüss­chen inzwis­chen bis kurz über den Schritt angeschwollen, so kostete es uns jede Menge Ste­hver­mö­gen, um nicht auf unan­genehmem Wege gen Tal befördert zu wer­den. Nicht schlecht staunten wir, als wir am let­zten Tag auf der Hal­binsel bei stahlblauem Him­mel erwachten und in der gesamten Cordillera nicht ein Wölkchen auszu­machen war. Dreiein­halb Wochen hat­ten wir uns durchs Dic­kicht geschla­gen, huf­schwere Aus­rüs­tung umhergeschleppt und delikate Klet­ter­stellen bei mäßigem bis absolutem Dreck­swet­ter überwun­den, nur damit wir am let­zten uns verbleiben­den Tag wie zum Hohn mit dem genial­sten Wet­ter begrüßt werden?

Es dauerte den ganzen Vor­mit­tag, bis ich mich mit dem Blau arrang­iert hatte. Umso mehr Freude bere­it­ete es dann, den Mies­muscheln am Strand hin­ter­herzu­ja­gen, sie im leck­eren Sud zu köcheln und sie im Anschluss laut schlür­fend zu ver­til­gen. Vor allem beein­druckte das atem­ber­aubende Panorama der Dar­win­kette bei einer abschließen­den Wan­derung auf einen küsten­na­hen Hügel. Abschließend gewährte uns der Monte Buck­land während der Überfahrt ans Fes­t­land einen let­zten Blick auf seine eis­be­set­zte Spitze.

Rück­blick­end auf die Tour waren wohl das beständig unbeständige Wet­ter, die extreme Logis­tik und die unbekan­nten alpinen Her­aus­forderun­gen das Salz in der Suppe, die tiefe Ein­drücke bei uns allen hin­ter­ließen. Riesig gefreut haben wir uns natür­lich über das rege Inter­esse an unserer Tour und über die finanzielle wie auch moralis­che Hilfe. Vie­len Dank!

In diesem Zusam­men­hang möchten wir uns zu guter Letzt auch bei der Abteilung Spitzen­bergsport des Deutschen Alpen­vere­ins für die Unter­stützung bedanken.


Monte Buck­land (Zweitbestei­gung: 29.01.2012; GPS: 1746 m, S 54°22,594 / O 70°21,677); Route „Sil­berkon­dor“ (span. „Cón­dor de plata”), WI4 /​D 
Monte Niebla (Erst­bestei­gung: 02.02.2012; GPS: 1430 m, S 54°25,163 /​O 70°15,667); Route über die Nord­flanke, AD
Monte Bella Vista (Erst­bestei­gung: 21.01.2012; GPS: 825 m, S 54°24,594 / O 70°20,672); Route über den Süd­grat, II /​F


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