The following article was published in the magazin Freiluftwerk. The complete article including a lot of awesome pictures is available as pdf: Bergsteigen in Feuerland (in German only)
Wo sich Fuchs und Biber gute Nacht sagen | |||||
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Bergsteigen in Feuerland | |||||
Wir, sechs junge Bergsteiger und eine Bergsteigerin [1] machten uns Anfang des Jahres auf den Weg in eine der abgelegensten Gegenden der Welt: in die Cordillera Darwin, so heißt die höchste Bergkette Feuerlands. Unser Ziel, der Monte Buckland, ist eine der schönsten Berggestalten dort am Südzipfel Südamerikas, ein fast 1.800 m hoher Eiszahn, welcher weithin sichtbar aus den umgebenden Fjorden herausragt. Würde dieser Berg in einer etwas zugänglicheren, und weniger wettergeplagten Region stehen, er wäre schlichtweg ein Traumziel für jeden Bergsteiger. So jedoch scheint es bereits ein kleines logistisches Abenteuer, um nur an den Fuß dieses Berges zu gelangen. Erreichbar ist er nur per Boot durch die Kanäle Feuerlands. Nur einmal nahm bisher eine Expedition diesen beschwerlichen Weg auf sich: Italienischen Bergsteigern um die bekannten Patagonien-Pioniere Carlo Mauri und Casimiro Ferrari gelang 1966 die Erstbesteigung des Monte Buckland auf seiner Südwestseite. Wir wollten nun eine neue Route von Norden her eröffnen. Von dieser Seite hat bisher kaum ein Mensch den Monte Buckland gesehen. Lediglich ein Satellitenbild und wenige Luftaufnahmen aus den 1920er und 1950er Jahren ließen ungefähr abschätzen, welche Verhältnisse unsere Expedition dort erwarten würde. BIS ANS “ENDE DER WELT” Anfang Januar war es soweit: Beim Landeanflug auf Punta Arenas (Chile) verspürte jeder von uns das bekannte Kribbeln im Bauch, die leichte Anspannung, die sich einstellt, sobald etwas Neues, Unbekanntes bevorsteht, dessen Ausgang aber unklar ist. Schließlich ist eine Expedition in die Cordillera Darwin ja auch nicht mit einer Hüttentour in den Alpen zu vergleichen. Gut eine Woche hatten wir für die Vorbereitungen in der südlichsten („Groß-“)Stadt der Welt, direkt an der Magellanstraße gelegen, benötigt, um alle Formalitäten und Einkäufe zu erledigen. Gleichzeitig konnten wir das chilenische Leben in Form von Pisco und Rotwein aufsaugen und uns an die etwas langsamer tickenden Uhren gewöhnen. Im Anschluss brachen wir Richtung Süden auf und erreichten nach einer staubigen 12h-Autofahrt schließlich die Westküste Feuerlands, den Ausgangspunkt für unser Abenteuer. Am Horizont türmten sich die Berge der Cordillera auf, die immer wieder unsere Blicke in ihren Bann zogen. Nach einem entspannten und äußerst leckeren Asado am Abend verpennte unser Schlauchboot-Skipper den nächsten Morgen – auch das gehört zum chilenischen Lebensgefühl. Schlussendlich fuhren wir dennoch gen Süden und erreichten die Bahía Fitton nach 2,5 Stunden schaukelnder Überfahrt. Mit einem riesigen Haufen Ausrüstung (450 kg) wurden wir am Strand abgeladen und schauten den zurückfahrenden Booten mit einem etwas flauen Gefühl hinterher. Die nächsten 25 Tage würden wir auf uns allein gestellt sein, und jegliche Rettung im Fall der Fälle würde einen extremen Aufwand bedeuten. Aber genau diese Abgeschiedenheit war es, die wir suchten, fern von Alltag, Routine und Bekanntem – einfach nur wir inmitten ursprünglicher Natur und atemberaubender Berge. Apropos, Berge – das Ziel unserer Begierde, den Monte Buckland, konnten wir bereits auf der Überfahrt steil und abweisend durch die Wolken aufblitzen sehen. Mehr als anderthalb Jahre hatten wir für die Vorbereitung der Tour benötigt, nun trennten uns von seinem Fuße nur noch knappe fünf Kilometer. Also schulterten wir jeder die ersten 25 kg Gepäck und schlugen uns durch einen schmalen Streifen Küstenregenwald. Im Anschluss daran folgte eine Art offene Wiesenfläche, die bei jedem Schritt gluckerte und unsere Schuhe teils knöchel-, teils wadenhoch mit Wasser und Schlamm umspülte. Nicht zuletzt hatten Biber die Landschaft geprägt, sodass wir ganze Waldgebiete auf zernagten Baumstämmen balancierend oder von einem zum anderen springend durchquerten – mit dem schweren Gepäck ein ganz besonderer Spaß. Am Ende des Tages waren wir völlig ausgebrannt, aber dennoch froh, nach Stunden endlich einen halbwegs vernünftigen Zeltplatz gefunden zu haben. Die Bilanz des ersten Tages verwies auf eine zurückgelegte Wegstrecke von zwei Kilometern und einen Höhengewinn von etwa 40 m, das Ganze mit einem Drittel des Gesamtgepäcks! Noch ernüchternder war der Weiterweg: Links und rechts des Lagers zogen steile Felswände unüberwindbar in die Höhe und ein reißender Wasserfall schien den Talabschluss zu bilden. Um nicht kurz nach der Ankunft bereits aufgeben zu müssen, bedurfte es einiger Kreativität und Spürsinn. Bewaffnet mit Kletterzeug und Macheten überwanden wir nahe dem Wasserfall eine 30m-hohe, glitschig bewachsene Steilstufe und schlugen uns durch das überwölbende Dickicht und den daran anschließenden Regenwald. Mehrere Fehlschläge und der beständig leichte Regen waren wenig motivierend, und dennoch erreichte der Spähtrupp ein lauschiges Plätzchen an einem See mit Bergpanorama. Nach insgesamt fünf Tagen hatten wir dann schließlich das gesamte Gepäck ins dortige Basislager geschleppt. GIPFELSIEG AM MONTE BUCKLAND In den folgenden Tagen erkundeten wir die Umgebung und bestiegen einen kleineren Berg, den wir „Monte Bella Vista“ tauften. Die erste Erkundung am Buckland endete etwa 500 Höhenmeter unter dem Gipfel. Unangenehmes Wetter und schlechte Sicht verhinderten einen ambitionierten Versuch. Wie beim ersten Anlauf blieb auch beim zweiten Versuch ein paar Tage später ein Teil der Crew im Lager zurück, teils aufgrund der fehlenden Erfahrung, aber auch um uns – dem Gipfelteam Robert, Dani & Markus – Rückendeckung zu geben. Zügig stiegen wir in den Sattel am Grat auf, wo auch schon beim ersten Mal unser Hochlager gestanden hatte. Wir starteten am Folgetag nach anfänglichem Schneegriesel gegen sieben Uhr morgens mit blauem Himmel Richtung Gipfel. Auf dem oberen Gletscherplateau überraschte uns ein erneuter Schneeschauer, und der Blick zum Gipfel wurde immer öfter von Wolkenfeldern versperrt. |
Aber vor uns lag nun nur noch die 200 m hohe Gipfelflanke, über deren gesamte Breite sich allerdings ein mächtiger Bergschrund zog. Das Umgehen hätte viel Zeit in Anspruch genommen, sodass wir uns für die Direttissima entschieden. Je näher wir der Verwerfungszone kamen, umso abweisender und schwieriger erschien sie. Da Robert der Hauptverfechter der Direktvariante war, musste nicht lang um den Vorstieg geknobelt werden. Die unteren Meter wühlte er sich durch tiefen Schnee, und schon bald querte er in teils schlechtem Eis zur Schlüsselstelle hinüber. Der Eisüberhang hatte es wirklich in sich! Weiches, schwer abzusicherndes Eis, und am Ausstieg fanden die Eisgeräte keinen Halt auf der oberen Firnflanke. Irgendwie mogelten wir uns dennoch alle darüber, und in weiteren drei Seillängen erreichten wir kurz nach 19 Uhr den Gipfel [2], ganze 46 Jahre nach der Erstbesteigung! Gern hätten wir unseren Sieg über den Buckland ausgiebig gefeiert, den unbeschreiblichen Blick über die Fjordlandschaft der Cordillera Darwin in vollen Zügen genossen und den atemberaubenden Sonnenuntergang am Ende der Welt in uns aufgesogen, doch irgendwie hinderten uns die dichte Wolkensuppe mit etwa 15 m Sicht und der beißende Wind, der unsere Seile in wenigen Minuten stocksteif gefroren hatte, daran. Wir beschränkten uns also auf die so lang ersehnte Gipfelumarmung und den im Basislager erleichtert aufgenommenen Funkspruch. Der Abstieg gestaltete sich wesentlich zügiger als erwartet, denn trotz der schlechten Firnund Eisqualität in der Gipfelflanke konnten wir an drei passablen Eissanduhren bis unter den Bergschrund abseilen. Unsere Aufstiegsspuren waren inzwischen teils verblasen, teils zugeschneit, und die nahende Dunkelheit erschwerte die Wegfindung zusätzlich. Gut 19 Stunden nach unserem Aufbruch erreichten wir schließlich gegen 2 Uhr nachts die Zelte und ließen uns schlapp, aber zufrieden in die Schlafsäcke sinken. ZWISCHEN EUPHORIE UND RESIGNATION Nach dem Abstieg ins Basislager störte uns der andauernde Regen, der auch ab und zu als Schnee niederging, für’s Erste nicht wirklich. Etwas Zeit zur Regeneration kam uns gerade recht. Nach dem tollen Erfolg am Buckland waren wir guter Dinge, weitere Berge mit dem gesamten Team bezwingen zu können. Nachdem es allerdings auch im Basislager mehrere Tage von früh bis spät durchgeregnet (bzw. geschneit) hatte, warteten wir sehnsüchtig auf Wetterbesserung. Stattdessen fiel der Luftdruck stetig weiter, und ein Tiefststand jagte den nächsten. Unmut machte sich breit, Langeweile kam jedoch nicht auf. Der anhaltende Niederschlag hatte unsere Zelte unterspült und verlangte unsere Fähigkeiten als Kanalbauer. Als schließlich auch noch die Latrine überlief und die braune Soße sich anschickte, Richtung See und Gruppenzelt abzufließen, kam die Gruppe in Schwung. Verständlich, dass das Motto der letzten Tage beschrieben wurde mit: „So wenig Spaß für so viel Geld!“. Der einzig vergnügliche Lichtblick war der Besuch eines wunderschönen Feuerlandfuchses, der fast ohne Scheu und mit viel Neugierde unser Basislager durchstöberte. Ähnlich dem Fuchs ließen auch wir uns vom Wetter jedoch nicht unterkriegen und starteten an einem Morgen mit guten Aussichten gen Osten. Unser Ziel war ein wilder, noch unbenannter Sporn in der Hauptkette nordöstlich vom Monte Buckland. Am Himmel tobten die Wolken nach feuerländischer Manier bizarr durcheinander. Die Gruppe war gut drauf und freute sich auf einen gemeinsamen Gipfelsieg mit toller Sicht. Beim Überschreiten der Hauptkette nach Norden hüllten sich die umliegenden Berge jedoch langsam in Wolken, und wenig später tauchten auch wir ein in das diffuse Grau. Die umliegenden Fjorde verschwammen im Nebel, und die vor uns liegenden Gletscherspalten verloren im milchigen Schleier an Bedrohung. Vom Gipfel war noch lange keine Spur, und leichter Niesel ließ die Motivation sinken. Die Gruppe trennte sich in einen unerschrockenen, vom Erkundungsgeist getriebenen Teil und einen etwas weniger risikobereiten, der den Rückweg antrat. Ersterer folgte seiner Intuition und bahnte sich einen Weg über mehrere Steilstufen in den Sattel am Gipfelgrat und erreichte den höchsten Punkt nach einer letzten bröckeligen Felslänge. Oben angekommen, bot sich das gleiche milchige Panorama wie eh und je. Wie treffend erscheint da der von uns gewählte Name für den Berg: „Monte Niebla“ (dt. Nebelberg). RÜCKMARSCH IN DIE ZIVILISATION Die letzten Tage hieß es dann erneut, das eingangs hochgebuckelte Gepäck wieder runterzuwuchten. Zum Glück hatten wir inzwischen gut 100 kg Trockenfutter vertilgt, und auch den Sprit für die Kocher als auch einige Pfunde Fettpolster hatten wir verbrannt. Dennoch brauchten wir zwei Tage, bis das ganze Material am Strand lagerte. Besonders die Querung eines Gletscherflusses hatte nochmal für etwas Aufregung gesorgt. War das ursprünglich kniehohe Flüsschen inzwischen bis kurz über den Schritt angeschwollen, so kostete es uns jede Menge Stehvermögen, um nicht auf unangenehmem Wege gen Tal befördert zu werden. Nicht schlecht staunten wir, als wir am letzten Tag auf der Halbinsel bei stahlblauem Himmel erwachten und in der gesamten Cordillera nicht ein Wölkchen auszumachen war. Dreieinhalb Wochen hatten wir uns durchs Dickicht geschlagen, hufschwere Ausrüstung umhergeschleppt und delikate Kletterstellen bei mäßigem bis absolutem Dreckswetter überwunden, nur damit wir am letzten uns verbleibenden Tag wie zum Hohn mit dem genialsten Wetter begrüßt werden? Es dauerte den ganzen Vormittag, bis wir uns mit dem Blau arrangiert hatten. Umso mehr Freude bereitete es dann, die Miesmuscheln am Strand aufzuspüren, sie im leckeren Sud zu köcheln und sie im Anschluss genüsslich schlürfend zu vertilgen. So ein Tag ist hier zum Bergsteigen in der Cordillera wie ein Sechser im Lotto, er kam leider diesmal zu spät, aber vielleicht wollte er uns auch nur motivieren, irgendwann wiederzukommen.
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