Gipfelsieg!!!
Ungeachtet der eigentlichen Nachtruhe, verkündet der Wecker unmissverständlich den Start in den neuen Tag und damit den geplanten Gipfelversuch — es ist 4 Uhr morgens. Nachdem wir am Vorabend eine geniale Sicht auf den wolkenfreien Gipfelaufbau des Bucklands und die gesamte Cordillera Darwin mit all ihren riesigen Gletscherflächen und Gipfeln genießen konnten, hat es die Nacht durchgeschneit und gestürmt. Wir haben kaum geschlafen und ein Blick aus dem Zelt verheißt noch immer kein besseres Wetter. Wir dösen eine weitere Stunde vor uns hin, bis wir uns entschließen, Nägel mit Köpfen zu machen. Der übermittelte Wetterbericht prognostiziert einen Tag mit wenig Niederschlag und mit geringen Windgeschwindigkeiten — in Realität wechseln sich blauer Himmel, Schneegraupel und dicke Wolkenschleier ab. Micha hat sich aufgrund seiner geringen alpinen Erfahrung entschlossen, auf einen Gipfelversuch zu verzichten und Knox schwankt noch immer, ob das wirklich Gipfelwetter sein soll. 7:40 Uhr steigt Dani in die erste Kletterlänge des Tages ein und wird in der 30 m langen, vereisten Rinne von Sonnenschein begleitet. Unter uns steigen riesige Wolkenschwaden auf und in der Ferne zeigt sich die Bahía Fitton in goldenem Glanz. Der Tag verspricht tatsächlich doch beste Voraussetzungen für den Buckland. Auch Knox ist nun davon überzeugt, sammelt schnell seine sieben Sachen zusammen und steigt nun doch als Dritter in die Verschneidung ein. Der folgende Felsgrat, eine heikle Querung in weichem Neuschnee und die anschließende Eisflanke hatten Dani und ich bei der ersten Runde schon erkundet, sodass wir diesmal bei gutem Wetter zügig zum oberen Felsgendarm aufsteigen können. Nach einer kurzen Rast folgen wir weiter dem NO-Grat, umgehen den imposanten Gletscherbruch und erreichen das Plateau unterhalb der Gipfelwand gegen 12 Uhr. Diese zeigt sich in bester Laune und wartet nur darauf zum ersten Mal durchstiegen zu werden. Bevor wir jedoch unsere Eisgeräte in die finale Firnwand schlagen können, muss der Bergschrund überwunden werden, der die Schlüssellänge der Tour darstellt. Der etwa 20 m hohe Abbruch zieht sich unter der Gipfelwand über die gesamte Breite von einigen 100 m entlang. Unsere auserkorene Rinne führt ziemlich zentral durch die Wand, sodass wir entweder den Bergschrund umgehen und anschließend weit queren oder den Abbruch direkt angreifen müssten. Wir entscheiden uns für die Direktvariante. Als wir uns unter der Eiswand befinden, zeigt sich diese wesentlich steiler als von Ferne. Um nicht unnötig Zeit für die Alternative zu verlieren, wage ich einen Versuch. Schon die ersten Meter der ansteigenden Querung weisen sehr schlechte Eisverhältnisse auf und immer wieder muss ich mich durch tiefen Schnee wühlen. Über mir ragen riesige Eiszapfen in einem Überhang, von oben tropft es mir in den Nacken. Bedächtig quere ich weiter nach links. Die Schlüsselstelle bildet ein überwölbtes Eisband. Wenige Meter trennen mich jetzt noch von der darüberliegenden Firnflanke. Mehrere Eisschrauben zweifelhafter Qualität gaukeln zumindest ein Gefühl von Sicherheit vor. Der erste Versuch auf der oberen Flanke Halt zu finden, scheitert — statt festem Firn wühle ich in weichem Schnee. Die Arme sind zugelaufen und ich flüchte wieder unter den Überhang. Beim zweiten Anlauf findet das rechte Eisgerät im Schnee Halt. Langsam schwindet wieder die Kraft und ich zweifle weiter zu klettern, weiter über die letzte schlechte Sicherung hinaus. Die Frage kommt auf, mit der sich ein Kletterer oft auseinandersetzen muss: Heute Weichei oder Kruppstahl? Ich entscheide mich für die Flucht nach vorn und kurz darauf habe ich einen Stand aus Firnanker und Deadman gebaut und hole Dani und Knox nach. Das die Seillänge im Nachstieg mit den großen Rucksäcken nicht leichter werden würde war klar. Eine halbe Ewigkeit bewegt sich unten gar nichts. Irgendwann sehe ich Knox verzweifelt über die Kante schielen, bevor er plötzlich wieder überhastet verschwindet. Hatte er sich die letzten Meter mit T-bloc am Seil hochgearbeitet, nur um kurz vorm Ausstieg den Halt zu verlieren und 4 m mit Sack und Pack wieder in die Tiefe zu rasseln? Der folgende Versuch ist mit Erfolg gekrönt und auch Dani folgt ohne größere Probleme. |
Das Wetter hat sich schon seit einigen Stunden verschlechtert und der Weiterweg im oberen Teil der Rinne ist nur zu erahnen. Zum Glück konnten wir den Verlauf unserer Route am Abend zuvor eingehend studieren. In der folgenden Seillänge mit gemäßigter Steigung (55°) kommen wir gut voran. Langsam steilt die Flanke auf (bis 70°) und die Absicherung wird schwieriger. Firnanker lassen sich auf Grund des anstehenden Felses nicht weit genug versenken und auch Eis guter Qualität ist nur schwer zu finden. Die Zeit drängt, doch so nah am Ziel will keiner mehr umdrehen. Gegen 18 Uhr befinden wir uns kurz vor dem Ausstieg aus der Rinne, über uns wehen Windfahnen über den Grat. Ab und zu schneit es und langsam sind wir gut platt. Wir werfen nochmals einen Riegel ein, geben einen kurzen Funkspruch ans Basislager und steigen die letzte Seillänge der Rinne aus. Die Sicht in der Scharte ist bescheiden, die Klamotten sind durchnässt und die Seile sind längst stocksteif gefroren. Zumindest der Wind ist uns milde gesonnen. Wir folgen dem Grat in südöstlicher Richtung und erreichen den Gipfel des Monte Buckland (1746 m) am 29.01. gegen 19:15 Uhr. Ziemlich ausgepowert können wir das Gipfelerlebnis nur schwer genießen, kreisen unsere Gedanken doch schon um den langen und nicht unproblematischen Abstieg. Die Scharte erreichen wir zügig, schwieriger gestaltet sich der Abstieg in die Rinne. Ungesichert kommt ein Rückzug nicht in Frage und das Zurücklassen von Material widerstrebt uns gleichermaßen. Also suchen wir lange nach festem Eis, um an einer Eissanduhr (Abalakov) abzuseilen. Die Sicht reicht keine 30 m und dennoch erreichen wir nach zwei weitere Abseilen den Bergschrund. Unsere Spuren sind inzwischen zugeschneit und verblasen, sodass wir beim Rückweg über das obere Gletscherplateau froh sind, unseren Weg per GPS dokumentiert zu haben. Langsam hüllt uns die Dämmerung in Dunkelheit, die Temperaturen ziehen an und der Abstieg über den Grat erfordert nochmals volle Konzentration. Gegen 1:40 Uhr des Folgetages erreichen wir ausgebrannt und durchgefroren nach 19 Stunden die Zelte — froh wie Schneekönige der Königin Feuerland’s auf die Krone gestiegen zu sein. |