Ich staunte nicht schlecht, als ich kürzlich auf die originale Beschreibung der Monte Buckland-Erstbesteigung stieß, welche damals am 19.02.1966 in der italienischen Tageszeitung Corriere della Sera erschien. Der Artikel stammt von Giuseppe Pirovano, einem der Protagonisten der Expedition, welcher nur einen Tag zuvor zusammen mit Guido Machetto aus Feuerland zurückgekehrt war, während die anderen vier Expeditionsteilnehmer im Anschluss noch am Aconcagua unterwegs waren. Der Bericht wurde zudem unter dem Titel Pirovano narra la scalata del Cervino della Terra del Fuoco (dt. Pirovano erzählt die Besteigung des Matterhorns von Feuerland) im Sammelband I fuorilegge della montagna veröffentlicht (Dino Buzzati, Mondadori 2013).
Hier der leicht gekürzte Bericht (übersetzt aus dem Italienischen):
„Am 5. Februar beschlossen wir vom Basislager am Meer ins Hochlager auf ca. 500 m Höhe aufzusteigen. Dort kamen wir gegen 6 Uhr abends an. Ich muss zugeben, dass ich mich – so schwer bepackt wie ich war – an diesem Tag nicht besonders gut gefühlt habe, aber Stück für Stück das es aufwärts ging, lief es besser. Der Wecker für den nächsten Morgen war auf 3:30 Uhr gestellt, doch um diese Uhrzeit stürmte es draußen gewaltig. Wir mussten noch bis 5 Uhr warten, bevor es losging. Wir zogen uns die Steigeisen und unsere gelben Wetteranzüge an, und marschierten los. Ich habe mich am Anfang etwas fehl am Platz gefühlt, da die anderen Jungs ja so viel jünger als ich waren [Anm.: Pirovano war immerhin 58 Jahre alt]. Doch schnell fand ich meine Motivation wieder, welche mir meine Aufgabe nun abverlangte. Wie so oft hier im Süden war der Himmel bedeckt, der Wind pfiff und die Sicht war eingeschränkt. Zunächst ging es über Geröll, später einen immer steiler und schmaler werdenden Eisschlauch hinauf, welcher uns mit einer finsteren und wilden Atmosphäre umgab. Mich erinnerte dieser Eisschlauch an jenen in der Nordostwand des Eigers. Zum Glück haben Alippi, Ferrari und Giudici diesen letzten, 300 m langen schwierigen Abschnitt des Couloirs drei Tage zuvor bereits mit Fixseilen versehen. Wir waren in drei Seilschaften unterwegs: die erste mit den beiden Jüngsten, Giudici und Ferrari, gefolgt von Alippi und Mauri (dem unermüdlichen Fotograf), und als letzte kamen Machetto und ich.
Nach 4 Stunden erreichten wir den Col [Anm.: später als Col dei Ragni bezeichnet], welche die Spitze des Buckland von einem etwas niedrigeren Vorgipfel trennt. Die Luft wurde düsterer, wir waren nur noch wie Schatten. Nach dem Sattel verlief der Anstieg über eine Serie von Seracs und Eisbuckeln bis hin zu einem unüberwindbaren Bergschrund.
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Aber da rechts gab es vielleicht einen Ausweg: Giudici hatte bereits mit viel Schwung den ersten Fixpunkt im Eis gesetzt. Dies war eine sehr schwierige Schlüsselstelle, welche zu überwinden weitere vier Eishaken benötigte. Giudici konnte sich schließlich auf eine Art Grat hinaufziehen. Die Eishänge zogen weiter aufwärts, und wir erschienen wie Eisstatuen, die sich nur mühsam weiter bewegten. Es war nun bereits gegen zwei Uhr nachmittags. Einige Zeit später trafen wir auf eine weitere Spalte. Ist der Gipfel schon nahe? Alippi und Mauri haben bereits die nächste Steilstufe in Angriff genommen. Im Sturm warteten wir auf eine Nachricht von oben, und währenddessen begann ich mit dem Pickel eine kleine Schneehöhle zu graben. Man weiß ja nie, im schlimmsten Fall könnte man hier biwakieren.
Ferrari und Giudici wurden ungeduldig und verschwanden ebenfalls im Nebel. Doch kurz darauf sah ich sie wieder auftauchen: Alippi wurde von einem unüberwindbaren Eisüberhang gestoppt, weiter rechts könnte es aber besser aussehen. Ich kam mit Machetto nach. Es folgten zwei sehr steile 40 m Längen, welche an den Fuß der Gipfelwechte führten. Hier fand ich einen Eishaken von Giudici. Die Gipfelwechte direkt anzugehen wäre absurd gewesen. Deshalb traversierten wir unter dem Überhang hindurch nach rechts, wo es etwas leichter aussah. Nun führte Machetto unsere Seilschaft. Hinter uns Alippi und Mauri, welche am Eishaken stehen blieben und uns zurufen „höher, tiefer“, um uns die besten Tritte zu zeigen. Schließlich schaffte auch ich es, von Machetto gesichert, die Wechte zu überwinden und aus der Südwand auszusteigen. Ich ging nun immer schneller, wie als wenn meine Füße Flügel hätten. Wir waren am Gipfel!
Wir haben fast zwölf Stunden gebraucht für unseren Aufstieg, und nochmal vier für den Abstieg. Die steilsten Abschnitte seilten wir uns mit dem Doppelseil ab. Der Wind und das Eis nahmen kein Ende. Gegen neun, mit dem letzten Licht der Dämmerung, erreichten wir wieder unser Hochlager. Wir legten unsere Steigeisen ab und umarmten uns. Der Herr hatte es gut mit uns gemeint.“
Entgegen dieser offiziellen Darstellung von Pirovano versicherte mir Cesare Giudici in einem persönlichen Gespräch 2012 jedoch, dass nur die Seilschaft Giudici/Ferrari den höchsten Punkt des Buckland erreichte, und die anderen zwei Seilschaften etwas unterhalb des extrem steilen letzten Aufschwunges warteten.
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